- Internationale Rechnungslegung
- von Professor Dr. Bernhard Pellens und Dr. Thorsten Sellhorn, MBAObwohl eine erste europäische Harmonisierung von Rechnungslegungsnormen bereits Anfang der 80er Jahre durch die Verabschiedung der Vierten und Siebten EG-Richtlinie erreicht wurde, wird unter internationale Rechnungslegung heute v.a. die Rechnungslegung nach – im Gegensatz zum deutschen Handelsgesetzbuch (HGB) – internationalen bzw. ausländischen Rechnungslegungsregeln verstanden. Eine Relevanz für deutsche Unternehmen erlangten internationale Rechnungslegungsregeln erstmals im Jahr 1993, als die Daimler Benz AG ihre Aktien an der New Yorker Wertpapierbörse (⇡ New York Stock Exchange, ⇡ „Wall Street“) platzierte und dafür bereit war, sich den Börsenvorschriften der US-amerikanischen Securities Exchange Commission (⇡ SEC) zu unterwerfen. Auch in der Folgezeit setzte die ⇡ Shareholder Value-Bewegung deutsche Unternehmen mehr und mehr unter Druck, sich den angloamerikanisch geprägten Erfordernissen der internationalen Kapitalmärkte anzupassen. Vor einem internationalen Hintergrund gelten die nach den Vorschriften des deutschen HGB aufgestellten Abschlüsse der Unternehmen als wenig informativ und werden daher von den Kapitalmarktteilnehmern abgelehnt. Diese verlangen, dass sich deutsche Unternehmen hinsichtlich ihrer Rechnungslegung internationalen Gepflogenheiten annähern.Hierauf reagierte der deutsche Gesetzgeber Anfang 1998. Mit dem Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz (KapAEG) wurde § 292a in das HGB eingefügt. Hiernach dürfen börsennotierte Konzernmutterunternehmen zunächst bis zum Jahr 2004 ihre Konzernabschlüsse auf der Grundlage internationaler Rechnungslegungsvorschriften aufstellen. Zu diesen zählen zum einen die International Accounting Standards (IAS) bzw. ⇡ International Financial Reporting Standards (IFRS) des ⇡ International Accounting Standards Board (IASB) und zum anderen die im Wesentlichen vom US-amerikanischen ⇡ Financial Accounting Standards Board (FASB) im Auftrag der SEC entwickelten United States Generally Accepted Accounting Standards (⇡ US-GAAP). Im Frühjahr 2000 wurde der Anwendungsbereich von § 292a HGB durch das Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinie-Gesetz (KapCoRiLiG) auf alle Mutterunternehmen erweitert, die selbst oder über ein Tochterunternehmen einen organisierten Kapitalmarkt in Anspruch nehmen.Bereits im Frühjahr 1997 waren internationale Rechnungslegungsvorschriften erstmals für deutsche Unternehmen anwendbar geworden. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Frankfurter Wertpapierbörsensegment „Neuer Markt“ ins Leben gerufen. Die Deutsche Börse AG verlangte von den an ihm gehandelten Unternehmen, dass sie ihre Abschlüsse nach IAS oder US-GAAP aufstellen oder zumindest eine entsprechende Überleitungsrechnung veröffentlichen. Diese Anforderungen galten ab 2002 auch für die im ehemaligen Qualitätssegment SMAX notierten kleineren Unternehmen (Smallcaps). Im Rahmen der Umstrukturierung der Börsensegmente zu Beginn des Jahres 2003 wurde die Verpflichtung, nach internationalen Vorschriften (IAS/IFRS oder US-GAAP) zu bilanzieren, auf alle im Prime Standard gelisteten Unternehmen ausgedehnt.Den internationalen Rechnungslegungsnormen eilt der – empirisch schwer zu überprüfende – Ruf voraus, v.a. gegenüber den handelsrechtlichen Vorschriften qualitativ und quantitativ höherwertige Finanzinformationen bereit zu stellen. Die von privaten Gremien erarbeiteten IAS/IFRS und US-GAAP verstehen sich als anlegerorientierte Systeme, deren vorrangiges Ziel die Bereitstellung entscheidungsnützlicher Informationen für Investoren und andere Gruppen mit ähnlich gelagerten Interessen ist. Der Gedanke des Gläubigerschutzes durch Ermittlung eines ausschüttungsfähigen Gewinns tritt demgegenüber in den Hintergrund. Dementsprechend werden die meisten Vermögenswerte zum beizulegenden Zeitwert (Fair Value) bewertet, während nach HGB traditionell die historischen Anschaffungskosten die Wertobergrenze bilden. Ferner fehlt eine Verknüpfung mit der steuerlichen Gewinnermittlung, wie sie in Deutschland mit dem Prinzip der Maßgeblichkeit bis heute besteht. In der internationale Rechnungslegung rückt vielmehr der (informationsorientierte) ⇡ Konzernabschluss in den Mittelpunkt, an welchen keinerlei direkte Rechtsfolgen anknüpfen. Dieser beinhaltet als zentrale Bestandteile neben ⇡ Bilanz und ⇡ Gewinn- und Verlustrechnung auch eine ⇡ Kapitalflussrechnung, eine ⇡ Segmentberichterstattung, eine Eigenkapitalveränderungsrechnung sowie einen aussagekräftigen ⇡ Anhang (Notes), die dem Adressaten weitere Informationen zur Verfügung stellen.Als weitere Konsequenz der Internationalisierung schuf der deutsche Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) die Voraussetzung dafür, die Entwicklung von Standards für die Konzernrechnungslegung nach angloamerikanischem Vorbild an ein privatrechtlich organisiertes Gremium zu übertragen. Zu diesem Zweck wurde Mitte 1998 das ⇡ Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC) gegründet und der Deutsche Standardisierungsrat (DSR) benannt. Der DSR hat seitdem eine Vielzahl Deutscher Rechnungslegungs Standards (DRS) zu verschiedenen Bereichen der Konzernrechnungslegung veröffentlicht, die im Zuge ihrer Bekanntmachung durch das Bundesjustizministerium die Vermutung, Grundsätze ordnungsmäßiger Konzernrechnungslegung zu sein, erlangt haben. Viele der Standards sind an internationale Lösungen angelehnt und enthalten bei Konflikt mit geltendem HGB-Wortlaut Änderungsempfehlungen an den Gesetzgeber.Einen entscheidenden Schub erfuhr die Internationalisierung der Rechnungslegung im Juni 2000, als die EU-Kommission in ihrem Papier „Rechnungslegungsstrategie der EU: Künftiges Vorgehen“ die EU-weite Anwendung der IAS/IFRS als strategisches Ziel formulierte. Mit der „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards“ vom 19.7.2002 wurde dieser Schritt schließlich rechtskräftig: Ab 2005 müssen kapitalmarktorientierte Unternehmen aus der EU ihre Konzernabschlüsse nach den IAS/IFRS erstellen. Zu diesem Zweck hat die EU-Kommission im Sommer 2003 den Großteil der existierenden IAS/IFRS anerkannt. Den einzelnen Mitgliedstaaten steht es offen, die Anwendung der IAS/IFRS per Pflicht oder Unternehmenswahlrecht auf alle Unternehmen sowie auf die Einzelabschlüsse auszudehnen. Die Bundesregierung favorisiert derzeit eine Weitergabe dieser Wahlrechte an die Unternehmen. Inwieweit internationale Rechnungslegungsregeln künftig die tradierten HGB-Vorschriften mit ihrer Maßgeblichkeit für die steuerliche Gewinnermittlung verdrängen werden, ist derzeit völlig offen.Nach Meinung vieler Experten sind die IAS/IFRS derzeit im Begriff, zum globalen Standard für die Rechnungslegung zumindest der großen, kapitalmarktorientierten Unternehmen zu werden, deren Investoren hochwertige, zeitnahe und vergleichbare Informationen über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage fordern. Um diese Entwicklung zu forcieren, strebt das IASB in Zusammenarbeit mit dem FASB eine Konvergenz der IAS/IFRS mit den US-GAAP an. Bereits im Mai 2000 hatte die International Organisation of Securities Commissions (IOSCO) die Akzeptanz der IAS durch die internationalen Wertpapieraufsichtsbehörden empfohlen. Jedoch erst wenn substanzielle Unterschiede zwischen beiden Regelwerken beseitigt sind, ist damit zu rechnen, dass die SEC einen IAS/IFRS-Abschluss als Zulassungsvoraussetzung ausländischer Unternehmen für ein Listing an einer US-Börse ausreichen lässt. Literatursuche zu "Internationale Rechnungslegung" auf www.gabler.de
Lexikon der Economics. 2013.